Millennium-Challenge-Tour


TRANSALP 2000

Alpencross heißt das 'Zauberwort' im neuen Jahrtausend. Selbsterfahrung in herrlicher Alpenkulisse. Immer auf dem Weg, seine eigenen Grenzen durch Muskelkraft ganz neu zu erleben - körperlich und psychisch.

Charakter: Schwer: Teils hochalpines Gelände, längere Schiebepassagen, alpine Erfahrung, Trittsicherheit und fahrtechnisches Können erforderlich
Fahrleistungen: 14.200 Höhenmeter und 430 Kilometer in 7 Tagen
Höchster Punkt: Dreisprachenspitze (2.843 m), 9 Pässe über 2.000 m
Alpenhauptkammpassage: Schlinigpass (Sesvennagruppe) und Stilfser Joch (Ortlergruppe)
Reisetermin: 2. - 9. September 2000
Erlebniswelt: Pisten und Trails mit ständig wechselnden, großartigen Hochgebirgskulissen über die Allgäuer Alpen, das Lechquellengebirge, durch Verwall, über die Silvretta, Sesvennagruppe und Ortler, zwischen Presanella, Adamello und Brenta mit schönen, bikerfreundlichen Berghütten
Tour-Veranstalter: Serac Joe, GF Achim Zahn, Alpine Mountainbike Challenges
Tour-Guide: Manfred Thaler
Idee und Realisation: global sports, Jens Boose


DER RITT ZWISCHEN HIMMEL UND HÖLLE
Der Alpencross: Von Oberstdorf zum Lago di Garda
Die legendäre Joe-Route übers Stilfser Joch

In jener Nacht vor zwei Jahren muß ich wohl von Kraft geträumt haben. Denn morgens stand für mich fest: 'Zu Deinem 29(k). Geburtstag machst Du Dir selbst ein tolles Geschenk! Es sollte mit Sport zu tun haben, einzigartig und unvergesslich sein. Dies war die Geburtsstunde der Idee: TRANSALP 2000.'

Trotz all meiner Überredungskünste und auch schlüssiger Argumente blieb von den 'zehn kleinen Süntel-Bikerlein' nur einer übrig: Jürgen Giesecke. Als ich ihn nach seiner Meinung fragte, überlegte er zwei Sekunden oder eventuell auch weniger. Jürgen, von Insidern auch 'yellow' genannt, ist ein echt netter Kerl. Er verfügt über fahrerisches Talent, und aus ihm könnte 'etwas werden', wenn er nur nicht für C... fahren würde. Gemäß dem Motto: 'In der Not frißt der Teufel Fliegen!' habe ich mich dann natürlich sehr, sehr doll auf meinen neuen Team-Partner gefreut. Einige Monate später gibt es dann 'kein Zurück mehr.' Der Alpencross ist bei SERAC JOE gebucht und das Bike-Equipment gekauft. Am Freitag, den 1. September, fällt der Startschuß zur geheimen Mission: HANNIBAL 08/15. Nach dem gemeinsamen Abend im Bike-Hotel Gruben und dem Briefing nach dem Frühstück wird es jetzt ernst.

1. Etappe: Samstag, 2. September 2000
Über die Allgäuer Alpen ins Lechquellengebirge
47,8 km, bergauf (+) 1.556 hm, bergab (-) 508 hm

Um kurz nach 8.00 Uhr machen wir uns von Oberstdorf auf die ca. 430 km lange Tour zum Gardasee. Es regnet, und alle 14 Teilnehmer zeigen noch gut gelaunt ihre Regenausrüstung. Manfred, unser Guide, führt uns durch das Birgsautal und Rappenalpental zum Schrofenpaß (1687 m). Nach der steilen Auffahrt zur Speicherhütte (1450 m) zeigt er uns seine Sturztechnik. Von nun an kostet jede 'Katze', das Fallen auf die Hände zum Berg hin, eine Runde Getränke.

Schrofenpaß im Nebel

Der Schrofenpaß ist die klassische und einzige Einstiegsmöglichkeit von Oberstorf zum Gardasee. Anfangs noch flach, sind die letzten 300 m steil auf Schotter. 'Legendär ist die Passage der Alu-Leiter, sie ist Bestandteil eines ca. 50 m langen Drahtseilaktes entlang des Abgrundes. Normalerweise hat man von hier einen schönen Blick über die Biberkopf-Westwand.

Beim ca. 45 min. Schieben komme ich trotz Pulsuhr 'in den roten Bereich'. Regen, Nebel, Matsch, überall Kuhsch... und der verblockte Anstieg sind eine erste Visitenkarte dessen, was uns noch erwartet. Die berüchtigte Aluleiter über dem Abgrund kann am besten per Rollen auf dem Hinterrad gemeistert werden. Das gewünschte Foto-Shooting fällt wegen des Nebels aus. Durch die entgegenkommenden Wanderer verlieren wir wertvolle Zeit beim engen Aufstieg. Einige von uns versuchen, diese beim schweren Downhill mit Schiebepassage nach Warth (1497 m) wieder aufzuholen. Andere bekommen sehr abrupt und schmerzlich ihre technischen Grenzen aufgezeigt. Wir 'Hamelner Rattenfänger', inklusive Jens Danger und Stephan Konrad, schlagen uns im Sumpf, über Trail und Schotter recht tapfer. Mit Speed rollen wir auf nasser Teerstraße die ca. 5 km in den noblen Wintersportort Lech am Arlberg. Im Restaurant 'Ambrosius Stube' gibt es neben Pizza & Pasta auch 'Wärme aus der Heizung'.

Die berüchtigte Alu-Leiter am Schrofenpaß

Nach einem aufmunternden Cappuccino geht es für die letzten Höhenmeter am Formarinsee (1789 m) vorbei über das Rauhe Joch zum heutigen Etappenziel. In der Freiburger Hütte (1918 m ) gibt es ein leckeres 3-Gänge-Menü mit reichlich Kohlenhydraten. 'Mocken'-Georg und Martin sorgen mit ihren Witzen non-stop für den lustigsten Abend überhaupt. Bei vielen schmerzen die Lachmuskeln plötzlich mehr als die Beine. Ab 22.00 Uhr ist dann auf den 6-Bett-Zimmern 'Ende im Gelände'.

2. Etappe: Sonntag, 3. September 2000
Durchs Silber- und Schönverwalltal
45,2 km, + 2.006 hm, - 1.624 hm, max. 59,5 km/h

Glücklicherweise kann ich die Nacht im Doppelbett oben, direkt am Fenster schlafen. Eine Luft wie im berühmten 'Puma-Käfig' und ein ganz fürchterliches Schnarchen rauben einigen den nötigen Schlaf. Ich jedenfalls höre nichts. Der Kaffee weckt die müden Lebensgeister, und so genießen wir trotz erneuten Regens einen traumhaften Singletrail Richtung Dalaas (800 m). Der Schotterweg zum Kristbergsattel (1479 m) schlängelt sich Kehre für Kehre nach oben und dann wieder bergab. Im Hasahüsli (1170 m) gibt es mittags endlich das langersehnte 'Mangiare'.

Traumhafter Singletrail Richtung Dalaas

Durchs Verwall-Tal

Gut gestärkt biken wir weiter. Die Bilderbuchlandschaft des Silbertals entschädigt uns mit ihren mächtigen, schneebedeckten Bergen. Die Piste endet an der Oberen Freschalpe (1890 m). Von hier an schieben oder tragen wir unsere Fullies bzw. Hardtails durch das riesige Sumpfgebiet. Hier erhält Georg seinen zukünftigen Spitznamen 'Mocken'-Georg. Alle, egal ob mit den brandneuen Alpencross-Schuhen oder Race-Schuhen, waten knöcheltief durch die Pampe. Georg will sein SCOTT besonders schonen und tritt in eine 'kleine' Pfütze. Plötzlich ist der ganze Schuh im Modder verschwunden und läuft voll. 'A new star is born!'

Jürgen in seinem Element

Blick von der Heilbronner Hütte

Die letzten 300 Höhenmeter ziehen sich endlos hin. Der Steilhang geht an die Reserven. Der glitschige Boden und das Bike auf der Schulter sorgen dafür, daß der Pulsschlag mit jedem Schritt beschleunigt. Es wird empfindlich kalt. Mit Einbruch der Dunkelheit erreichen Jürgen, Thomas und ich mit letzter Kraft die neue Heilbronner Hütte (2308 m). Das Verbellener Winterjöchli ist ein relativ leichter Übergang mit deftiger Schiebpassage vor der Hütten-Einkehr. Wir 'futtern wie bei Muttern', natürlich Pasta und das obligatorische 'Weizen'. Um 21 Uhr liegen die meisten von uns schon im großen Schlafraum 'in der Horizontalen'. Thomas aus Nürnberg beschließt auszusteigen. Für ihn ist Schluß mit dem Abenteuer 'Alpencross 2000'.

3. Etappe: Montag, 4. September 2000
Über die Silvretta durchs Unterengadin in die Sesvenna
72,8 km, + 2.564 hm, - 2.216 hm

Über Nacht hat es geschneit und es ist 'knackig kalt'. Um 7.15 Uhr starten wir zu unserer längsten Tour. Jeden Tag finde ich besser meinen Rhythmus. Erstmals werde ich vom Guide Manfred wegen meiner Pünktlichkeit gelobt. Hiervon beflügelt, genieße ich den langen Downhill Dank meiner CONTI-Reifen und MAGURA-Bremsen noch mehr. Vorbei an Kops Stausee, dem Zeinisjoch (1845 m) und Galtür rausche ich auf meinen SPECIALIZED FSR auf Teer ins Paznauntal. Im 'verrückten' Skiort Ischgl (1376 m) ist die Stimmung auf dem Tiefpunkt, denn Thomas tritt tatsächlich seine Heimreise per Zug an. Ein Großteil der Gruppe ist nach der langen Abfahrt in teilweise noch feuchten 'Klamotten' ausgekühlt und friert.

Auf zum Fimberpaß (2608 m)

Während der langen Auffahrt im Fimbertal zur Heidelberger Hütte (2264 m) verziehen sich die Regenwolken. Das Wetter wird endlich besser. Wie auf einer Perlenschnur aufgezogen schieben wir unsere Räder ca. eine Stunde die 400 hm den Fimberpaß (2608 m) hinauf. Der schwere Downhill ins Val Chöglia im schweizer Engadin ist vom allerfeinsten. Durch das viele Fotografieren bedingt, 'knalle' ich als letzter an allen vorbei bis auf Platz Nr. 4. Mit viel Adrenalin erreiche ich BERGWERK-Alwin und die CENTURION-Piloten Jens & Stefan.

Nach kurzem 'PowerBar-Stop' inkl. technischen Dienst meldet die Satelliten-Navigation: 'TIME!! Super-Trail-Abfahrt bis Zuort mit kurzen Schiebepassagen, dann Schotter bis Vna, Asphalt bis Sur En!' So geht es weiter Richtung Schlinigpaß (2311 m). Nachmittags erreichen wir das Val d`Uina. Die berühmte Uina-Schluchtgalerie ist atemberaubend. Die Galerie ist 1910 auf Initiative des deutschen Alpenvereins in die senkrechte Felswand der Schlucht geschlagen worden. Die Verwendung des teilweise ungesicherten Pfades ist vielseitig: Weltkriegsschauplatz, Auf- und Abtrieb des Almviehs und natürlich Tourismus.

Die atemberaubende Uina-Schlucht

An der Alpe Uina Dadaint (1770 m) machen Manfred, Jürgen und ich um 18 Uhr zum letzten Mal Rast. Vor dem Einstieg in die Uina-Schlucht läuft mir meine letzte Trinkflasche mit 'Zaubertrank' aus. Kurze Zeit später reißt an meinem Schaltwerk ein Schraubenkopf ab, ein 'Pfennigartikel'. Trotz Notreparatur durch unseren Guide läßt sich kein kleiner Gang einlegen. Stinksauer muß ich ab sofort schieben. Manfred`s Worte: 'Dann schiebst` halt eine Stunde mehr als wir!' sind wenig motivierend. Total gefrustet und ohne etwas zu trinken quäle ich mich zu Fuß bergauf und über das Hochplateau. Selbst die grandiose Bergkulisse der Sesvenna in der Abendsonne muntert mich wenig auf.

Um 20 Uhr, die Sonne ist längst untergegangen, irre ich immer noch alleine und mit einem flauen Gefühl im Bauch, an einer altern Ruine vorbei, durch die 'Pampa'. Überglücklich und völlig ausgepowert erreiche ich nach ca. 13 Stunden um 20.30 Uhr die Sesvenna Hütte (2256 m).

Dank Pasta, Cappu & Ramazzotti und einer heißen Dusche schlafe ich die letzte Nacht auf einer Berghütte im Massenlager wie ein Stein. Eins steht auf jeden Fall für mich fest: 'Ein größeres Waterloo als heute, bei 73 km und ca. 2600 Höhenmetern, kann ich nicht erleben!'.

4. Etappe: Dienstag, 5. September 2000
Durch den Vinschgau zum Stilfser Joch
48,8 km, + 1.568 hm, - 2.304 hm

Provisorisch legt Manfred einen 'großen Gang ein'. Mit entsprechendem 'high speed' donnere ich mir mit meinem SPECIALIZED den Frust von der Seele. Über Schlinig, Schleis und Laatsch geht es nach Glurns (907 m), Italiens kleinster Stadt auf der südtiroler Seite des Reschenpasses. Als 'Phönix aus der Asche', so bezeichnet mich Guide Manfred, genieße ich den langersehnten Cappuccino. Die 'Bruchpiloten' legen einen außerplanmäßigen Stop in Prad am Stilfser Joch ein. Der junge, sehr sympathische Chef von BALDI SPORT ist der beste Bike-Mechaniker den ich je erlebt habe. Er hat Profi-Equipment, 'totale Kenne' und ist unheimlich schnell. Überaus preisgünstig inspiziert er Anne`s Scheibenbremse am SCOTT, checkt Volker`s Steuersatz am MARIN, verkauft Jürgen einen neuen Soft-Sattel für seinen gelben C-Bomber und wechselt nur eine Schraube in meinem XT-Schaltwerk.

Die 34 Serpentinen zum Stilfser Joch (2757 m)

'Total happy' machen wir uns auf die Verfolgung der Anderen über Stilfs (1310 m) Richtung Gomagoi (1260 m). Mittags knallt endlich die langersehnte Sonne vom Himmel und wir 'wechseln komplett auf kurz'. Zufällig treffen wir die letzte Gruppe der Anderen, während ihrer Abfahrt von der Schartalpe (1829 m). Reifen-Danger`s Jens ärgert sich tierisch über seinen 'Platten' und gibt mir bzgl. Pannensicherheit von Latex-Schläuchen schweren Herzens Recht. Der Anstieg zur Furkelhütte (2153 m) verläuft auf einer Militärpiste. Bei Sonnenschein und strahlend blauem Himmel erreichen Jürgen und ich die Furkelhütte. Mit dem super Panoramablick auf 'König Ortler (3905 m)' genießen wir unser wohlverdientes Vesper. Relaxed geht es durch den Tartscher Wald bergab nach Trafoi (543 m). TREK-Andreas holt sich seinen ersten 'Platten'. Mittlerweile haben sich die jeweiligen Experten herauskristallisiert. Bergauf sind dies die beiden 'CENTURION-Bergziegen' Renè & Stefan. Im Downhill gehöre ich Dank meines Fully, der super haftenden CONTI-Semislicks und der erstklassigen MAGURA HS33-Bremsen zu den schnellsten. Zunehmend selbstbewußter 'bügel' ich mit meinem FSR auch über anspruchsvolle Trailpassagen.

Die 'Bruchpiloten' bei BALDI SPORT

Gegen 16 Uhr erreichen wir Trafoi, den Heimatort der südtiroler Ski-Legende und des Olympiasiegers Gustav Thöni. Nach dem technischen Dienst am Bike genießen wir im 'Hotel Tannenheim' nach drei Übernachtungen auf Berghütten allen Luxus. Besonders wertvoll ist der Service, die total verschwitzten und stinkenden Biker-Klamotten kostenlos zu waschen und zu trocken. Die Chefin staunt daher nicht schlecht, als sie die kleine, bereitgestellte Wanne vor lauter Schmutzwäsche nicht wiederfindet. Alle genießen das leckere Abendessen und hören dem anschließenden Briefing für den nächsten Tag aufmerksam zu. Der 'harte Kern' entspannt sich noch bei einem Dia-Vortrag über den 'Nationalpark Stilfser Joch'. Um 22 Uhr 'ruft leise der Sandmann'.

5. Etappe: Mittwoch, 6. September 2000
Über die Ortlerberge ins Veltlin
56, 1 km, + 2.301 hm, - 2.104 hm, max. 63,0 km/h

In der letzten Nacht ist mein Bettnachbar Jürgen theoretisch schon einmal die heutige Tour durchgefahren. Anders kann ich mir seinen sehr lauten und total unruhigen Schlaf nicht erklären. Ab 6.30 Uhr können wir endlich in den Trockenraum und unsere frischen, wohlduftenden Sachen in Empfang nehmen. Für mich geht das Einsammeln 'ratz fatz', weil überall und unübersehbar mein Sponsor aufgedruckt ist. Einige vergreifen sich versehentlich bei den Sachen, andere später im Ton bei der Rückforderung 'Ihrer' Socken. CANNONDALE-Jürgen ist total 'fickerig' und will ohne großes Frühstück sofort durchstarten. Er ist von der Angst besessen, die 'dead-line 11 Uhr Passhöhe Stilfser Joch' nicht rechtzeitig zu erreichen.

Drei Hamelner nach dem spektakulären Downhill im Valle di Forcola

Ich starte gut gelaunt um 7.30 Uhr und hänge mich zuerst an das Hinterrad unseres Guides. Schnell schließen wir zu den vor uns gestarteten Bikern auf. Auch den inzwischen lieb gewonnenen 'Stiefel Mann', kassieren wir schnell. Er, ein älterer Bayer, und zwei Nordlichter versuchen sich in Alpencross-Eigenregie. Am zweiten Tag erlebt er sein Inferno. 10 Weizen auf der ersten Berghütte haben ihm 'seine kiloschweren Bergstiefel ausgezogen'. Konstant wie ein schweizer Uhrwerk fahre ich mit 8 km/h die 34 vor uns liegen Asphalt-Serpentinen auf 2757 m hinauf. Nach kurzer Trinkpause setze ich meinen Walkman auf. Die CD von Celine Dion 'kommt echt gut' und fast wie in Trance spule ich Kurve für Kurve ab. Beim Titanic-Song 'MY HEART WILL GO ON' erlebe ich alleine ein unbeschreibliches Glücksgefühl. Zum Glück liegen am frühen Morgen noch keine dieser Sensations-Paparazzis in den Straßengräben, die nur darauf warten, einen Moment der Schwäche mit 'feuchten Augen' auf Zelluloid zu bannen.

Schmaler Singletrail von der Drei Sprachen Spitze (2843 m)

Zehn Spitzkehren vor dem Gipfel will mich ein italienischer Straßenbauarbeiter wegen Sprengungsarbeiten stoppen. Ich höre nichts, grüße freundlich und fahre einfach weiter. Plötzlich ist der Mercedes-Unimog hinter mir und brüllt was von 'Forza, Forza!'. Ich trete mehr 'rein' und der Fahrer mehr auf das Gas. Ich erhöhe die Trittfrequenz und er die Drehzahl. Ich fluche wie 'ein Rohrspatz' und er hupt wild. Ich zeige ihm den 'Effe-Finger' und er fährt mir fast in den Rucksack. Mit einem max. von 13,4 km/h scheucht mich der 'nette Italiener' förmlich im Endorphin-Rausch zum Gipfel. Mein 'heart' schlägt bis in die Haarspitzen und der Pulsmesser zeigt 'SUPER-MEGA-OVERKILL!!!' Oben angekommen, wundert sich Guide-Manni, wie schnell ich die zweite Hälfte hochgeschossen bin. 'Wenn der wüßte...'

Jürgen ist non-stop gefahren und daher verständlich 'stolz wie Oskar'. Seine Angst zu versagen, wie von mir richtig prophezeit, ist völlig unbegründet. Unsere besten Kletterer benötigen ca. 90 Minuten, 'Piraten-Pantani' beim Giro nur 31 Minuten. Alle genießen bei Bilderbuchwetter ihre Polenta und den majestätischen Anblick auf das Ortler-Massiv und warten auf die Letzten, Anne & Volker.

Zweiter Platten während der Abfahrt über die Casa Boscopiano (1526 m)

Pünktlich um 11 Uhr geht es über den höchsten Punkt der Tour, die 'Drei Sprachen Spitze (2843 m)' und schmale Singletrails weiter zum Umbrail-Paß (2503 m). Auf dem Weg zur Bocchetta di Forcola (2768 m) will ich den sympathischen CENTURION-Dirk überholen. Für einen Moment nicht aufgepaßt und schon rutscht das Vorderrad im losen Untergrund weg. Reflexartig löse ich die Klickies aus und springe vom Bike. Parallel geht es für uns beide abwärts. Ich schreie laut zu Dirk um Hilfe und wie durch ein Wunder bekomme ich mein Hinterrad zu fassen. Gemeinsam rutschen wir noch tiefer. Irgendwann stoppen wir beide und es ist 'Ende im Gelände'. Dirk hat schon die Verfolgung aufgenommen und mit vereinten Kräften ächzen wir uns im losen Untergrund wieder Meter für Meter nach oben. Das SPECIALIZED ist zum Glück noch o.k., meine Schürfwunden brennen allerdings zuerst wie Feuer.

Ab sofort ist 'Angel-Dirk' mein Schutzpatron. Ich beiße die Zähne zusammen und leicht verspätet erreichen wir die Bocchetta di Forcola. Gespenstisch ist die alte, zerfallene Kaserne, die wir talwärts passieren. Ich bin schockiert vor dem Hintergrund, wieviel Soldaten während der zwei Weltkriege an diesem unwirklichen Ort sinnlos 'für das Vaterland' verheizt wurden.

Von einem Extrem sofort ins Andere. Der folgende Downhill ins Valle di Forcola gehört zum Spektakulärsten, was man sich vorstellen kann. Durch eine fast senkrechte Wand schlängelt sich ein schmaler Serpentinenpfad hinunter. Alles fahrbar - für 'Cracks'. Im Downhill wieder in 'meinem Element', genieße ich jede einzelne Bodenwelle. 'Für mich einer der schönsten und besten Trails der Welt'. Mittlerweile für alle keine Überraschung mehr: Unter den vier schnellsten sind mit Stefan und Jens & Jens drei Hamelner. Mit 3:1 dominieren auch die Fullies klar über die Hardtails. Seid dieser atemberaubenden Abfahrt mit ihrem 'Adrenalin-Kick' geht mir folgender Satz nicht mehr aus dem Sinn:

'Das ist die Höhe. Von weitem wirken manche Steilstücke nicht zumutbar. Von nahem erkennt man dann, daß der erste Eindruck richtig war!'

Der Umbrail-Paß

Während der Abfahrt über die Casa Boscopiano (1526 m) erwischt es Andreas mit seinem TREK 8000 erneut. 'Der 2. Plattfuß. Hinten!" Wir erreichen rechtzeitig zum Cappu mit Apfelstrudel den Wintersportort Bormio (1225 m). Alle genießen die Köstlichkeit und die Ruhe. Nur einer nicht. Andreas muß aufgrund seiner Schusseligkeit 'Überstunden ' machen. Der Platten Nr. 3 in zwei Tagen! Von diesem Rekord 'kauft er sich frei', indem er die Cappuccini bezahlt. CENTURION-Jens erfährt leidvoll, daß einige Kellner zu dem Rechnungsbetrag noch das Alter der gesamten Familie addieren. Zum Glück klärt unser GUIDE Manfred den 'Beschiss' auf.

Gut gestärkt 'fliegen' wir förmlich die 11 km lange Teerstraße nach Santa Catarina Valfurva (1738 m) hinauf. Zur Abwechslung überholen uns Biathleten oder Langläufer beim Sommertraing auf Roller-Ski. Einige Italiener fahren mit ihren kleinen Kisten wie die 'Säue!'. Zum Glück erreichen wir heil unser Quartier. Im 'HOTEL THURWIESER' gibt es das 'aller leckerste 3-Gänge-Menü' der gesamten Tour. Der feuchtfröhliche italienische Abend ist jedenfalls einzigartig. Irgendwann liegen alle in 'ihren Kojen'.

6. Etappe: Donnerstag, 7. September 2000
Zwischen 'König' Ortler und Presanella ins Val di Sole
50,1 km, + 1.958 hm, - 2.280 hm, max. 72,9 km/h

Noch vom Essen des Vorabends begeistert, startet die Meute auf der Teestraße dem Gavia-Paß (2621 m) entgegen. Es ist wolkenverhangen und je höher wir klettern, desto stärker wird der Regen. Jens Danger quält sich unter großen Knieschmerzen bergauf; für mich die Quittung für zu frühes biken in Shorties. Als ich die Paßhöhe erreiche, empfängt mich Schneetreiben. Das Wetter ist 'saumäßig' und die Rast im 'rifugio bonetta' sehr willkommen. Mit allem warmen angezogen rasen wie einen Teil des Giro auf der anderen Seite des Passes hinunter. In Pezzo ziehen wir uns 'aus'. Von südlicher Sonne 'gepusht' nehmen wir Kurs auf weiteres Highlight. Vorher stärken wir uns. Jens Danger geht es kreislaufmäßig 'total beschissen'. 'Angel Dirk' versucht erneut eine Polenta, diesmal mit ungewollter Käfereinlage. Sein trockener Kommentar: 'Diese Mistviecher haben ordentlich Protein. Her damit!'

Aufstieg zum Montozzo

Ich fühle mich täglich besser und gehöre zu den ersten Startern. Der Anstieg zur Forcellina di Montozzo auf (2478 m) gelingt mir problemlos. Der Rest hat mit dem 'Westalpenschotter' mehr Probleme als vermutet. Dieser extrem steile Weg besteht fast nur aus kindskopfgroßen Steinbrocken. Selbst voll konzentriert ist es schwer, seinen Rhythmus zu finden.

Pause am Rifugio A. Bozzi

Am RIFUGIO A. BOZZI (2478 m) liegen wir schön windgeschützt und 'faul' in der Sonne. Aufmerksam verfolgen wird den Zeltaufbau der italienischen Soldaten. Der letzte Rest des 15-minütigen Aufstiegs zur Montozzo-Scharte auf 2613 m ist noch mal 'richtig knackig'. Belohnt werden wir mit einem unbeschreiblichen Panorama. Wir genießen den Singletrail und kurze Zeit später liegt er tief vor uns. Wer, der Guide? Nein er, 'das Maß aller Dinge!'

Auf zum türkisfarbenen Lago di Pian Palu

Das ist er!

Die Rede ist vom wunderschönen, extrem türkisfarbenen Lago di Pian Palu (1800 m). Alle fotografieren diese Einmaligkeit. Jeder, der den legendären 601er am Gardasee kennt, weiß was jetzt vor uns liegt. Eine Trail-Nuß nach der anderen muß erfolgreich 'geknackt' werden. Alle haben ihr fahrtechnisches Potential erweitert. Ich hänge mich an Manfred`s Hinterrad und schaue so ein wenig 'in seine fahrerische Trickkiste'. 'Rrraatta-Rraaa-Zong'- sind wir unter auf Seehöhe. Wir umfahren eine Seeseite Richtung Staumauer. Beim 'herunterfliegen' setze ich ungewollt auf und verbiege mir einen Zahn des kleinsten Kettenblattes. Die Folge ist ein Kettenriß beim Antritt. Dank der Unterstützung von Anne & Manfred wird sofort erstklassig repariert. Am späten Nachmittag erreichen wir Pejo Terme (1648 m) im warmen 'Sonnental'. Wir machen technischen Dienst, beziehen die Hotelzimmer und relaxen. Beim Abendessen passieren ganz 'mysteriöse Dinge': Einige Weinflaschen lernen das Laufen, bzw. das Auslaufen. Irgendwann sind alle Mann verschwunden.

7. Etappe: Freitag, 8. September 2000
Zwischen Adamello und Brenta zum Gardasee
104 km, + 1.904 hm, -3.244 hm, max. 68,3 km/h

Mit Wehmut steigen wir am Morgen des letzten Tour-Tages auf unsere 'Alu-Rösser' zum '104 km-FINAL COUNTDOWN'. Alle staunen nicht schlecht, als Danger-Baby alleine mit kurzer Hose auftaucht. Er hat wie immer 'nur das Eine' im Kopf und deshalb beim Briefing mal wieder nicht aufgepaßt. Lapidarer Kommentar: 'Ich dachte es geht bergauf!' Trotz seiner Knieschmerzen startet er tatsächlich in 'kurz'. Auf halber Strecke der 13 km langen Abfahrt ins Val di Sole nach Dimaro (766 m) wird auch er vernünftig. Ähnlich wie bei der Tour de France rauschen wir im jeweiligen Windschatten des Vordermannes auf das Brenta-Massiv zu.

Bei blauem Himmel, klarer Luft und vom Sonnenschein durchfluteten Baumkronen fahren wir den Forstweg stetig bergauf. An jeder Abzweigung postiert sich einer von uns, damit wir keinen verlieren. Auf dem Reiterhof Malga Mondifra (1632 m) wird unserer bayrischer ROCKY MOUNTAIN-Fahrer Martin zur wahren 'Sex-Bombe'. Splitterfasernackt setzt er sich unser 'Adonis' in die mit frischem Felsquellwasser gefüllte Tiertränke. Bei allen Paparazzis zerspringen vor Schreck die Kameras. Rechtzeitig zum 'Lunch' rollen wir in Madonna di Campiglio (1522 m) vor das Ristorante 'LE ROI'.

Gut gestärkt nehmen wir die Höhenmeter zum Lago di Val di Agola (1595 m) in Angriff. Weiter geht es per 30-minütiger Schiebepassage über den Passo Bregn de l`Ors (1836 m) und dann hinab durchs Val d`Algone nach Stenico (666 m). Im Albergo Ristorante Brenta von Carlo Gallazzini legen wir einen 'außerplanmäßigen Boxenstopp' ein. Die Spezialität des Hauses, Möhrenkuchen & Cappu, zergeht auf der Zunge. Beides schmeckt doppelt so gut, als mir Jens D. aus K. insgeheim beichtet: 'Ich fahre voll am Limit mit meinem Fully und komme einfach nicht näher an dich `ran, du Sau!' Stefan ergänzt: 'Ich habe es längst aufgegeben, mit 'euch beiden' mitzuhalten. Mit meinem Hardtail, keine Chance!'

Den letzten 'Kick' der Transalp 2000 gebe ich mir zusammen mit Anne`s Volker. Gemeinsam und mit fast 70 km/h 'verblasen' wir auf einer langen, abschüssigen Teerstraße meinen 'speziellen bayrischen Freund'. Von jetzt an rolle ich nur noch mit 'halber Kraft' über Ponte Arche (400 m) nach Lomaso (507 m). Auf der Staatsstraße 421 nehmen wir den 'goldenen' Passo del Ballino (763 m) in Angriff. Ich kann das Rauschen der Wellen schon hören. Wir passieren den Lago di Tenno (570 m) und plötzlich liegt 'es' uns zu Füßen, das Etappenziel: 'Unser Gardasee; mein Lago di Garda!' Wir schießen das obligatorische Gruppen-Foto am Ortsschild von Riva del Garda (65 m).


Ich glaube, alle sind '10 Zentimeter größer', als wir den Hafen erreichen. Mit einem 'unbeschreiblichen Funkeln' in den Augen beglückwünschen wir uns alle gegenseitig. Jeder genießt auf seine spezielle Art und Weise den persönlichen Erfolg. Manfred und Martin z.B. springen vor Freude in den Gardasee.

Für einen Moment bin ich abseits der Gruppe. Die Füße baumeln im Wasser, ich höre per Walkman 'MY HEART .....' und das von Anne & Volker gespendete, kühle Bier läuft 'Tröpfche for Tröpfche' langsam die trockene Kehle hinunter.

Mein persönliches Fazit als Initiator dieser TRANSALP 2000:

Heike & Yannick danke ich für ihre Toleranz, den Alpencross überhaupt realisieren zu können. Besonders stolz bin ich auf meinen Freund und Team-Kameraden, Jürgen 'yellow' Giesecke und dessen sportliche Leistung. Jens & Stefan danke ich für deren großes Engagement. Als Initator bin ich überglücklich, weil sich niemand von uns schwer verletzt hat.

Nach dieser Alpenüberquerung sind viele von uns mit diesem 'Virus positiv infiziert'.

Meine persönlichen Highlights:
  • Alu-Leiter am Schrofenpaß
  • Super Trail-Abfahrt vom Fimberpaß
  • 'Waterloo' in der Val d'Uina-Schlucht
  • 'Forza-, Forza-Auffahrt' zum Stilfser Joch
  • Über di Bocchetta di Forcola und Downhill Richtung Bormio
  • 'Gala-Dinner' in Santa Catarina
  • Auffahrt zur Montozzo-Scharte
  • 'Geiler' Downhill zum smaraktgrünen Lago di Pian Palu
  • Stolzes Erreichen von Riva am Lago di Garda

Und schon Goethe sagte: 'Einmal ist keinmal!' bzw. 'See you later in the Alps!' Mit 'Angel' Dirk zu jeder Zeit!

Jens Boose Copyright 09/2000